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Abschied von der Zivilisation - im Fjord der Gletscher - das Versteckspiel mit dem Wind - ruppiger Canal Cockburn und unheimliche Magellanstrasse - Treffen mit der Freundin in Puerto Natales
Bericht vom 25. Februar 2003

 

Abschied von der Zivilisation
Am Montagabend, dem 27. Januar, einen Tag vor dem Auslaufen in die einsamen chilenischen Kanäle, türmen sich Gemüse und Früchte im Salon: 20 kg Kartoffeln, 12 kg Zwiebeln, 3 kg Knoblauch, 8 kg Rüebli, 6 grosse Kohlköpfe, ein riesiger Kürbis, Peperonis und Auberginen, Tomaten und Gurken, 1 kg frische Pfefferschoten (eine Unmenge! Einen grossen Teil dörre ich unterwegs über unserem Refleksofen), 12 kg Aepfel, eine Harasse Orangen, Grapefruits, blaue Pflaumen, Bananen und vieles mehr. Wo staue ich all das, damit es nicht verdirbt? Etwas besorgt beginne ich zu sortieren und jede einzelne Frucht, Tomate, Aubergine usw. auf Druckstellen hin zu untersuchen. Um halb neun lasse ich alles liegen und wir gehen zum letzten Mal ins Zentrum von Ushuaia, um mit Bernt und Kristin von der deutschen Yacht "AURYN" herrliches Lammfleisch zu essen. Sie bleiben noch einige Tage im AFASYN-Club, hat doch ihre rote junge Kätzin RIO - sie ist als junges Busi in Rio de Janeiro zugelaufen - eben erst vier junge Kätzchen geboren, von denen ich hoffentlich ein rotes in Puerto Montt an Bord von CASIMU nehmen kann. Am Morgen vor unserer Abfahrt herrscht noch ein riesiges Durcheinander im Salon. Noch müssen die Frischwaren gestaut werden. In der hinteren Backbord-Kabine, die wir sowieso vorwiegend als Stauraum brauchen, gibt's neben den 8 Panettoni (Hans mag die so), vielen Güezipäckli, Nüssen, Mandeln und ein paar Kilo Trockenfrüchten noch Platz für einen Teil des Gemüses und der Früchte. Die Aepfel werden sorgfältig in den grossen Katzenkorb verpackt (den ich immer noch mitführe und vorläufig als Proviantkiste umfunktioniert habe). Noch einmal eile ich ins Zentrum, um mit meiner Mutter zu telefonieren, die letzten mails zu lesen, frisches Brot und feinen Apfelstrudel zu kaufen und dann um halb zwei auf dem Schiff zu sein. Hans hat ebenfalls noch ein ziemliches Gehetze. Den ganzen Morgen vergeht mit der Bearbeitung meines Berichtes: er fügt die Fotos ein, ermöglicht das PdF (das anfangs nicht funktionieren will) und und bringt das Ganze aufs Internet. Wieso der Zeitdruck? Wir haben noch einen chilenischen "profesor" als Passagier nach Puerto Williams. Da es zwischen Ushuaia und Puerto Williams keine organisierte Schiffsverbindung gibt, kommen öfters Touristen bei den wenigen Yachten vorbei, um sich nach einer Mitfahrgelegenheit zu erkundigen. Mit unserem Passagier Marcelo haben wir auf halb zwei Uhr abgemacht. Uf, gerade schaffe ich es, pünktlich zu sein! Der Angestellte der Prefectura kommt aufs Schiff und erledigt Pass-, Zoll- und Schiffsformalitäten in wenigen Minuten. Und jetzt geht's los. Ein weiteres Mal die 30 Meilen nach Puerto Williams bei wenig Wind, in angenehmer und interessanter Begleitung, bei Apfelstrudel und Kaffee, ein echtes Touristenfährtchen. Abends gibt's ein kleines Fest im Aufenthaltsraum des MICALVI-Clubs in Puerto Williams. Die Charterjacht SANTA MARIA ist mit deutschen Seglern von ihrem Törn um Cap Hoorn zurück, das sie und ihr chilenischer Skipper bei 9 Beaufort gerundet haben. Und nun gibt's natürlich zu feiern und sogar Diplome werden ausgehändigt. Da war's bei uns schon viel unscheinbarer: ohne Diplom, dafür aber auch ohne einheimischen Skipper. Eine neuseeländische Jacht mit Alpinisten ist eben aus der Antarktis zurück, wo sie mehrtägige Berg- und Gletschertouren machten. So trifft man sich eben im einzigen süd-chilenischen "Hafen" Puerto Williams. Am nächsten Tag erhalten wir von der Armada de Chile das "Zarpe" (Navigationserlaubnis und -beschränkung) bis nach Valdivia. Bei Prachtswetter und klarer Bergsicht laufen wir im Beaglekanal gegen Westen aus, um schon nach 30 Meilen gegen Abend zwischen Inselchen und Untiefen zum Armada-Stützpunkt "Puerto Navarino" einzulaufen. Um unser Tau an der riesigen Tonne festmachen zu können, muss Hans auf die Tonne springen. Zum Glück bläst ein konstanter Westwind, so dass die Gefahr des Anschlagens oder Verwickelns an der Metall-Tonne kaum besteht. Ein Abendspaziergang über Hügel und Moor, führt uns auch bei riesigen Biberdämmen vorbei. Die kleinen Nager fällen ganze Wälder, um ihre kunstvollen Dämme zu errichten. Die Gegend sieht aus, als hätte ein Riese in Wut den Wald zerstört. Ueberall nur noch kleine Baumstamm-Stummel - allerdings gekonnt durchgenagt! Der letzte Schwatz mit den Armada-Leuten. Ab morgen wird's endgültig einsam. Schon um 6, im fahlen Dämmerlicht und bei nur 10°C brechen wir auf. Die Weiterfahrt im Beagle-Kanal wird von vielen kleinen und grösseren grünen Inseln und den mächtigen Felsbergen links und rechts gerahmt. Die unteren Teile der Berge sind grün, zum Teil bewaldet, doch oben ragen schwarzgraue Granitfelsen drohend zum Wolken behängten Himmel. Böen pfeifen etwa die Felswände herunter und es ist unmöglich die Segel richtig einzustellen: ist es genug Segelfäche ohne Böen, ist es sofort zu viel in den unregelmässigen aber häufigen "rachas" und CASIMU legt sich stark auf die Seite. Nun das freut die Gäste des Kreuzfahrtschiffes, das uns nach ein paar Stunden Fahrt entgegenkommt. Als sie an uns vorbeifahren, blitzen viele Kameras zu uns herüber. Einen kurzen Augenblick beneide ich sie um die Wärme und den Komfort auf ihrer riesigen "Crèmeschnitte".

Im Fjord der Gletscher
Schon vor dem Mittag erreichen wir die Verzweigung des Beagle-Kanals und segeln in den "Brazo noroeste" (nordwestlichen Arm), wo wir bald in die romantische kleine Bucht "Caleta Olla" einfahren. Hohe Bäume gegen Westen begrenzen den feinen gelben Sandstrand. Gegen Norden steigt eine hohe Granitwand auf, gegen Süden rahmt eine niegdrige Halbinsel die Bucht, während gegen Südosten sie sich etwas öffnet, aber bald vom gegenüber liegenden Sandstrand abgeschirmt wird. Wir lassen den Buganker fallen und ziehen CASIMU dann mit zwei Heckleinen nahe ans Ufer, so dass er im Windschutz der hohen Bäume sicher vertäut liegt. Und die nächsten zwei Tage erleben wir den viel gelobten Ankerplatz unter Starkwind-Bedingungen als echt ideal: am Abend nimmt der übliche Westwind zu und wird stark (bis etwa 40 Knoten). Es rauscht enorm in den Blätterkronen und die Wipfel hinter uns beginnen sich zu biegen. Doch ausser im oberen Teil des Mastes merken wir kaum etwas vom Wind. Vom Strand aus ist die Wasserfläche etwa 30 bis 40 Meter weit hinaus ruhig und kräuselt sich kaum - da ja im Windschatten der hohen Bäume - während nur wenig weiter aussen bereits Schaumkronen die Wellen zieren und Brecher gegen den Strand klatschen. Trotz viel Wind können wir zwei Wanderungen zu den Gletschern "Hollanda" und "Italia" unternehmen. Ueber Moore und durch sumpfige Abhänge klettern wir durchs Dickicht und versuchen möglichst nicht allzu tief einzusinken. Wir queren Wildbäche und suchen nach Aufstiegsmöglichkeiten ohne dauernd Schluchten überwinden zu müssen. Wir freuen uns über die herrliche Weitsicht und Blick auf die beiden Gletscher.
Ventisquero Hollanda
Caleta Olla
CASIMU ist tief unten nur noch als kleiner Punkt sichtbar. Am zweiten Tag läuft der hölzerne, dschunken-getakelte Katamaran "China Moon" von Pete Hill, GB, von Punta Arenas kommend in die Bucht ein - die einzige Jacht, die wir in den drei Wochen bis Puerto Natales begegnen! Dieser komfortable Katamaran ist das dritte Schiff, das Pete in dreijähriger Arbeit aus Sperrholz gebaut hat. (Er und Annie sind die Verfasser der Segelführer über die brasilianische Küste und die Falklandinseln). Wir sitzen zusammen und machen es uns an den kühlen und regnerischen Abenden gemütlich: Pete, seine südafrikanische Begleiterin Sherley und der wunderschöne und interessante Kater Sindbad, der sich auch auf unserem Schiff sofort wohl fühlt. Am nächsten Abend kocht der gemütvolle Pete uns ein feines "chili sin carne", während wir Frauen bequem in den Polstern des Katamarans sitzen und beim Aperitiv mit Popcorn plaudern. Die sicher fast sechzigjährige Sherley ist mit ihrer 50jährigen Holzyacht einhand - nur in Begleitung ihres Katers Sindbad - von Cape Town nach Brasilien gesegelt. Nach dem sympathischen Treffen fahren wir weiter nach Norden, "China Moon" Richtung Süden. Der "Brazo Noroeste" mit der Gletscherroute "avenue des glaciers" ist bei schönem Wetter einmalig.
Moränen lassen nur eine schmale Einfahrt in den Seno Pia frei.
Ventisquero Italia
Mit der Segeljacht können wir tief in die Fjorde oder "senos" hineinfahren, sofern es die vorgelagerten Moränen erlauben. Sie versperren meist wie Riffe den Eingang, als wollten sie allen den Zugang zum inneren Schatz verwehren. So erkunden wir bei strahlendem Licht und Sonnenschein den "Seno Pia" mit seinem gletscher-milchigen Wasser. Bald wird die Weiterfahrt um bläulich-weisse Eisbrocken herum zur Zick-zack-Fahrt und irgendwann sind die Eisberge grösser, mächtiger und in der Ueberzahl, so dass wir kleinlaut aufgeben und umdrehen.


In sicherem Abstand zu den harten, weissen Ungetümen stellen wir den Motor ab und lassen uns das Mittagessen vor dem schönsten Gletscherpanorama im wärmenden Sonnenschein und in unendlicher Stille schmecken. Schon am Nachmittag ist der Himmel wieder von schweren, dunklen Wolken behangen und gegen Abend beginnt es zu regnen. In diesen chilenischen Breiten regnet es sehr viel, als wollte der Westwind vom Pazifik all seine mitgeführten Riesenwolken aufs Mal entleeren. Unzählige Wasserfälle stürzen über die Felswände hinunter, die steilen und mit Moosen und anderen Pflänzchen dicht bewachsenen Ufer tropfen ununterbrochen und überall gibt es Bächlein. Die Inseln sind meist von dichtem, kaltem Regenwald bewachsen, fast undurchdringlich aber mit reicher Flora - natürlich ganz anderer als im brasilianischen tropischen Regenwald. Aber auch hier in dem kurzen und kühlen Sommer gibt es farbige Blüten.

Das Versteckspiel mit dem Wind
Hier in den südlichen Breiten, nahe am Pazifik, müssen wir immer auf sehr schnelle Wetterwechsel gefasst sein. Aus einer morgendlichen Flaute kann schnell Starkwind werden. Fast immer weht der Wind aus West oder Nordwest bis Norden. Das heisst für CASIMU, dass er den Wind meist von vorne hat und somit meist unter Motor läuft. Nur, bei viel Wind - das heisst 20 und mehr Knoten - halten wir uns in einer winzigen "caleta" oder "notch", zu deutsch "Schlupfloch" still. Es gibt viele solche Schlupflöcher, die auch etwa von den Fischern von Punta Arenas mit ihren kleinen Booten benutzt werden. Die Wassertiefen sind meist bis an die felsigen Wände genügend für eine Jacht mit 2m Tiefgang. Untiefen in den Einfahrten sind eigentlich immer mit Kelp (einer grossen Algenart) bewachsen, so dass man sie bemerkt und umschiffen kann. Zuerst lassen wir den Bug- oder oft den Heckanker fallen, motoren dann in die enge, geschützte Boxe hinein und binden CASIMU mit 2 bis 5 Leinen dicht unter die Bäume fest.

Die zwei an der Heckreling befestigten Taurollen - Hans hat sie in Buenos Aires entworfen und auch gefertigt - mit je etwa 120m schwimmenden 20mm-Polypropylen-Leinen sind enorm praktisch, wenn es schnell gehen soll. (Die Schwimmleinen sind leicht zum Ausbringen mit dem Beiboot und es besteht kaum Gefahr, dass es ein "Gnusch" gibt oder eine in die Motorschraube gerät.) Kaum ist der Anker geworfen, steigt (meist) Hans ins Beiboot und rudert mit der sich selbst abrollenden Leine ans Land, während ich bemüht bin, das Schiff dicht am Ufer in richtiger Position zu halten. Recht schwierig ist es oft, einen geeigneten Baum oder Felsen zum festbinden zu finden. Damit die Leinen nicht durchscheuern, legt Hans einen Kettenvorlauf um Baumstamm oder Felsblock, an den dann die Leine festgeknüpft wird. Das ganze Procedere dauert natürlich jeweils zwischen 1 bis 3 Stunden! Wenn der Wind dann mit Sturmstärke pfeift, hören wir ihn zwar manchmal oben am Rigg rütteln, doch der Rumpf des Schiffes liegt ruhig und geschützt. Wenn es am folgenden Tag sehr windig ist oder wie aus Kübeln über Stunden schüttet, halten wir uns in unserem Schlupflöchlein in der warmen und trockenen Stube still. Erst wenn das Wetter sich beruhigt hat, der Wetterfax kein ankommendes Tief anzeigt und der Baro einigermassen konstant ist, laufen wir wieder aus, frühmorgens oft bei wenig Wind, um am Nachmittag oder abends wieder eine "Schlafbox" zu finden.- Uebrigens hat Hans in Ushuaia die Aries-Windsteuerung bis auf die Alu-Halterung abgebaut, da wir sie ja vorläufig hier in den Kanälen nicht gebrauchen. Auf das Alu-Gestell hat er aus Abfallmaterial eine zurecht gezimmerte Heckanker-Plattform montiert, auf die er zudem bequem und sicher stehen kann, um den Anker fallen zu lassen oder wieder zu bergen. Die Ankerkette hat darunter, auf der Badeleiter-Plattform in einem Inox-Gefäss ihren Platz erhalten. Das hat sich bereits einige Male bewährt. Es geht doch nichts über erfinderische und praktisch veranlagte Skipper!

Ruppiger Canal Cockburn und unheimliche Magellanstrasse
Eines Tages müssen wir bei bedrohlichen tiefen und dunklen Wolken hinaus aus dem engen "Canal Ocasion" in den zum Pazifik hin offenen und manchmal wilden und stürmischen "Canal Cockburn". Schon bevor wir die schützende Felszunge hinter uns lassen, erreicht uns die pazifische Dünung. Grosse, langgezogene Wellen bei wenig Wind. Das sind wir nicht mehr gewohnt! CASIMU schwankt hin und her, während die Dünung extremer wird und uns schüttelt. Die Wellen laufen auf die inneren Felsinseln zu, werden zurück gespült und erreichen uns in konfusem Auf und Ab nochmals. Wie wird das erst sein, wenn da der Westwind mit Sturmstärke braust? Ich erinnere mich an eine schauerliche Geschichte von Francisco Coloane, in der er einen stürmischen und gefährlichen Canal Cockburn beschreibt. - Wo stecken wohl die drei neuseeländischen Kanuten, die wir vor ein paar Tagen bei Starkwind gegen Wellen und heftige Regenschauer kurz vor dem Eingang in den gefürchteten Canal Cockburn zufällig voraus sahen? Sie deuteten uns, dass sie wohlauf seien, als wir in ihre Nähe fuhren und paddelten kräftig weiter. Hätten sie in unserer Nähe übernachtet, wären sie bei uns zum Nachtessen eingeladen worden. Doch Segeljachten und Kanuten suchen hier nicht die gleichen Plätze auf, und so verloren wir sie aus den Augen. Ueber Navtex haben wir gelesen, dass sie von der chilenischen Armada gesucht werden. Später hören wir auch über Funk, dass das Armadaschiff sie sucht. Sie wollen die ganze südliche Passage mit den Kanus - ohne Begleitschiff - zurücklegen. Wenn ich am Abend am wärmenden Ofen das Nachtessen geniesse und am Trockenen sitze, muss ich oft an die armen Kanuten denken. Wo übernachten die in dieser Kälte und Nässe? Können sie wohl auch etwas Warmes kochen? -
Eigentlich dürften wir den "Canal Acwalison", der eine Abkürzung gegenüber dem vorgeschriebenen "Canal Magdalena" ist, offiziell nicht befahren, um in die westliche Magellanstrasse zu gelangen. Auf den chilenischen Karten sind alle Tiefenangaben für den nicht genehmigten Canal entfernt worden. Doch wir besitzen neben den chilenischen Seekarten auch noch englische und dort finden wir sehr wohl Wassertiefen. So beschliessen wir, den spektakulären gebirgigen "Canal Acwalison" zu befahren. Mental bereiten wir uns vor, was für eine Begründung wir angeben werden, falls uns in dieser Einsamkeit zufällig ein Armadaboot ausmachen und zur Rede stellen sollte. Das werden wir schon irgendwie hinkriegen, denke ich. Mehr beunruhigt mich der "Paso O Rian", ein enger und untiefer Durchgang in dem Canal, der enorm viel Strömung (bis 8 Knoten) und Wirbel haben soll und also nur bei "Slackwater" ( Stillwasser zwischen Ebbe und Flut) passiert werden soll. Ob die Tiden-Angaben und unsere Umrechnungen für die Enge stimmen? Wir nähern uns dem Paso etwas zu früh und fahren wirklich fast bei Stillwasser - nur noch 2 Knoten mitgehendem Strom- problemlos durch die engen Untiefen. Alle Sorgen zum Voraus waren überflüssig! Und was sehen wir in dem sich weitenden Fjord? Zwei Luftsäulen von Walen, eine höhere und breitere und daneben eine niedrigere und schmälere. Sicher ein Muttertier mit ihrem Jungen. Hurra, sie schwimmen in unserer Richtung! Doch plötzlich sehen wir die Fluken, eine grosse und gleich danach die kleinere abtauchen. Mit dem Motor im Leerlauf warten wir. Erst später, als wir wieder weiterfahren, entdecken wir die beiden Luftsäulen hinter uns. Die Wale haben uns passiert, aber leider unter Wasser. In der breiten Magellanstrasse bläst uns ein starker Wind entgegen und wir verkriechen uns in einen sicheren, tiefen Fjord. Doch diesmal will der Anker einfach nicht fassen, und wir sind fast zwei Stunden damit beschäftigt, einen geeigneten Platz zu finden und Ankermanöver zu fahren, was mich an diesem Abend hässig und ungeduldig macht. Am nächsten Tag, dem 7. Februar steht folgendes im Logbuch: "Regen, Regen. Frühzeitig brechen wir auf, damit wir beim morgendlichen Schwachwind in der Magellanstrasse vorwärtskommen. Breit ist sie, grau - verhangen. Das schwarze Cap von Bahia Wood grüsst drohend hinüber. Locker kommen wir unter Motor voran. Doch leider ist mit Segeln wieder nichts. Der Wind reicht gerade, dass das Grosssegel unter Motor steht und vielleicht noch etwas "zieht". War das wohl eine Qual für die Schiffe von Magellan (und die späteren Segler) hier gegen Wind und Strom voranzukommen. Im Niemandsland, wo sie nicht wussten, wohin und ob überhaupt ein "paso" sie ins "Mar del Sur" führen wird.... Nein, ich kann es mir nicht vorstellen. Und der "Paso tortuoso" liegt erst noch vor uns! - Da auch für uns die Gegenströmung ungünstiger wird, fahren wir in die historische "Bahia Fortescue" (sie ist schon auf Seekarten vom Jahr 1700 als Ankerplatz angegeben und auch Joshua Slocum hat vor mehr als 100 Jahren auf seiner Einhand-Weltumsegelung hier geankert). Da die innere "Caleta Gallant" so gerühmt wird, ankern wir dort. Doch wir werden von heftigem Wind und Williwaws, die auch Wellen aufwerfen am Anker geschüttelt und ausgepfiffen. Der Ankergrund ist zwar gut, doch nach zwei Tagen haben wir genug und verholen für die letzte Nacht in die äussere "Bahia Fortescue", wo wohl auch die früheren Segler ohne Motor gelegen haben. Angenehm ruhig, etwas Schwell." - Am nächsten Morgen, noch in der Dunkelheit, löst Hans die Landleinen und mit dem Strom durchqueren wir zuerst den "Paso Ingles" und dann den gefürchteten "Paso tortuoso", wo Atlantik- und Pazifikströmung zusammenlaufen. Doch mit wenig Wind und mit dem Strom können wir die dunklen Felsen und Berge in Ruhe betrachten: wie lederne und faltige Haut von Ur-Elefanten säumen die kahlen oberen Felsen die Magellanstrasse ... und schon sind wir im langen "Paso largo". Immer wieder sind Seehunde um uns und springen oft fast wie Delfine. Wenn sie ihre runden Köpfe neugierig aus dem Wasser strecken, sind sie einfach allerliebst. Bevor wir in die sichere "Caleta Notch" einfahren, kommen uns zwei kleine Fischerboote entgegen. Sie wollen nach Punta Arenas zurück, tauschen aber gerne zwei grosse Merluzas gegen zwei Tetrapack Rotwein. Bald darauf sehen wir inmitten der Seehunde einen Wal blasen. Wir warten und beobachten. Plötzlich öffnet sich gleich neben CASIMU ein riesengrosser, offener Rachen... Wir erschrecken, doch der Wal filtert einfach das Wasser. Ob er uns gar nicht beachtet hat? Doch so wohl scheint es ihm doch auch nicht zu sein. Er taucht ab. Nach zwei ruhig vertäuten Sturmtagen in der "Caleta Notch" - der Hafen von Punta Arenas wurde während des Sturms geschlossen und verschiedene Seezeichen in der Magellanstrasse ausgerissen - wagen wir uns am dritten Tag wieder hinaus und durchfahren den westlichsten Teil der Magellanstrasse und den "Paso del Mar", der offen zum Pazifik hin ist und sehr stürmisch sein kann, bei Flaute und kaum Dünung! Warm ist es und bequem! Wir legen eine grössere Strecke als geplant zurück, besuchen aber noch das einsame Armada-Ehepaar auf der Leuchtturm-Insel "Fairway", um dann abends in einem eng geschlängelten aber sehr sicheren Fjord, der "Caleta Teokita" zu übernachten.

Eng ist die Ausfahrt aus der Caleta Teokita. Dank leichtem achterlichem Wind geht es sogar unter Segel!


Ideale Segelbedingungen und "delfinos oscuros"

Der nächste Morgen empfängt uns mit Sonnenschein und Südwind. Nach dem Fototermin von CASIMU segeln wir durch den "Canal Smyth" und seine liebliche grüne Inselwelt. Beim "Paso shoal" erinnert uns das Wrack der "San Leonor", dass dieses Revier nicht ganz ohne Tücken ist, vorallem natürlich bei Sturm. Doch wir geniessen es, wieder mal segeln zu können und die Bergwelt und verschneiten Gipfel im allerdings kalten Sonnenschein geniessen zu können. Bei der "Isla Cutler" weitet sich der Canal zu einer grossen Bucht. Kurz vorher sind wir plötzlich von unzähligen dunklen Delfinen umgeben, den südlichen akrobatischen Meistern. Links und rechts, vorne und hinten, springen sie aus dem Wasser. Einige vollbringen hohe Luftsprünge, um sich dann seitlich ins Wasser fallen zu lassen und grosse Fontänen aufspritzen zu lassen. Es kommen immer mehr Delfine nach. Ist das eine Völkerwanderung? Hunderte und aber hunderte von schwarzen Delfinen - das ist doch ungewöhnlich.
Die Abkürzung war offensichtlich untief!
Das rasch wechselnde Wetter erzeugt immer wieder prächtige Regenbogen.

Treffen der Freundin in Puerto Natales
Eigentlich liegt Puerto Natales nicht an unserem Weg. Doch meine Freundin Christiane Michaelis fliegt mit ihrem Mann Werner nach Argentinien und Chile, um uns zu besuchen. Die einzige Möglichkeit sie in diesen einsamen Kanälen und menschenleeren Gegenden zu treffen, ist für uns "Puerto Natales", ein aufblühender kleiner Touristenort - der Nationalpark "Torre del Paine" ist mit seinen immensen Gletschern und berühmten Kletterhörnern von P.N. aus erreichbar. Doch nun haben wir einen Termin: sie sind nur vom 22. bis 24. Februar in Puerto Natales. Da wir anfangs keine Ahnung hatten, wie wir in den windreichen Breitengraden hier "gegenan" vorwärtskommen, wussten wir auch nicht, ob wir in gut drei Wochen die Strecke Puerto Williams - Puerto Natales (etwas mehr als 500sm) schaffen würden. Doch nun wissen wir es: wir sind zeitlich gut drin. Die nächsten Kanäle und Senos, die uns um "viele Ecken" Richtung P.N. führen, werden wir auch noch packen. Einer der letzten ist der "Canal Kirke" mit der "Angostura Kirke", wo der Strom zwischen den kleinen Inselchen in der Enge zwischen 8 bis 14 Knoten (15 bis 26 km/h) erreicht, und Schiffe nur bei Stillwasser passieren können. Am Vorabend ankern wir im Vorbecken, einer kleinen seenartigen, runden Oeffnung mit Robbeninseln und vielen Wasservögeln. Ich rudere gegen Abend zu den Robben hinüber, allerdings mit ziemlich Respekt vor der Strömung und den Robben-Machos. Viele der herzigen Robben umschwimmen mein Schlauchboot neugierig aber unaufdringlich. - Die Ruhe an diesen Ankerplätzen wird höchstens durch das Rufen der Vögel oder das Grunzen der Robben durchbrochen. Doch oft ist es mäuschenstill, sofern der Wind nicht durch das Rigg pfeift. Das ist unwahrscheinlich wohltuend, diese unberührte Natur: tage- und wochenlang keine Häuser, keine Strasse, klares Wasser, nirgends eine Spur von menschlicher Gegenwart oder Aktivität. Selten mal ein Fischerboot, doch das hinterlässt nur für wenige Minuten eine vergängliche Spur auf der Wasseroberfläche, wie wir mit CASIMU. - Als wir am nächsten Mittag etwas vor dem unzuverlässig voraussagbaren Stillwasser die "Angostura Kirke" ansteuern, sehen wir Wirbel. Der Strom gegen uns nimmt zu. Das Inselchen auf der Backbordseite scheint immer an der gleichen Stelle querab zu liegen, obschon wir mit 7,2kn Geschwindigkeit fahren. Ueber Grund legen wir nur 2,7kn zurück. Also haben wir kurz vor Stillwasser noch 4,5kn Strom gegen uns und die Wirbel werfen CASIMUs Bug gegen rechts und links, ungewohnt aber ungefährlich. Da die Enge nur etwa 300m lang ist, passieren wir sie trotz des Gegenstromes. Unter Segel überqueren wir am 17. Februar den "Golfo Almirante Montt", der Puerto Natales vorgelagert ist. Wir entdecken nach drei Wochen wieder ein paar Häuser, mehrere Fischerboote und das farbige Oertchen Puerto Natales, das den vorherrschenden West- und Nordwinden komplett ausgesetzt ist. In unserem Segelführer steht : "P.N. is in fact a very poor place to visit in a yacht, as the anchorage in front of the town is totally exposed to the strong northwest and west winds, that seem to blow continuously. Winds can change from calm to gale force with no warning.." Und das ist wirklich so: Keine Mole ist gegen die häufig stürmischen Winde geschützt und die "Capitania del Puerto" von der Armada weiss auch nicht, wo eine Jacht sicher liegen kann. Vorerst machen wir vor dem Zentrum an einer Boie eines einheimischen Privatmannes fest, da der Wind nicht allzu stark weht. Doch nach zwei Nächten verholen wir CASIMU in den engen, nördlich des Ortes gelegenen "Seno Eberhard", der vor über hundert Jahren von einem deutschen Pionier entdeckt und in Besitz genommen wurde. In einer nahen Höhle fand er Ueberreste eines Urtiers und löste mit seinem Fund eine Invasion von Paläontologen aus. Das Tier wurde später klar als urzeitliches "Mylodon" oder "Riesenstinktier" identifiziert. Heute ist die riesenhafte "Cueva del Milodon" mit einer Nachbildung des Urtiers eine Touristenattraktion. Die beiden Urgrosssöhne von Herman Eberhard bewirtschaften die Estanzia am Meerarm mit 500 Kühen. Beide sprechen sie perfekt deutsch. Hier durften wir an den grossen Tonnen zu Land und zu Wasser unseren CASIMU festmachen. Doch auch hier bläst der Wind oft und lang mit Sturmstärke und CASIMU wird geschüttelt und die beiden Insassen, die eigentlich nachts gerne schlafen würden, damit. Hans hat alle drei Anker ausgebracht: zwei achterlich-seitlich in den Seno hinaus, gegen Westen. Einen vorne am Ufer in den Sand. Ferner halten einige Leinen CASIMU an den Tonnen und an Pfählen fest. CASIMULI, der im Windschatten des grossen Bruders liegt, fliegt ab und zu durch die Luft und liegt dann auf dem Bauch! In dieser Gegend scheint es einfach keinen einzig wirklich geschützten Winkel zu geben. - Ich bin schon aufgeregt, denn bald soll meine Freundin Christiane und ihr Mann Werner ankommen. Am 22. Februar sind sie da. Wir haben grosse Freude uns hier zu treffen, da es ja nicht so ganz sicher war, ob wir es schaffen würden, rechtzeitig dazusein. Sie haben mir viele nützliche und leckere Dinge mitgebracht und im schönen Hotel "Costaustralis" gibt es einen grossen Geburtstagsgabentisch für mich. Herzlichen Dank Christiane und Werner! Wir verbringen gemeinsam gemütliche zwei Abende - sogar mit Jassen. Leider geht die Zeit sehr schnell vorbei. Wir bleiben zurück, um im Nationalpark Torres del Paine noch ein paar Tage zu wandern, während die Rundreise unsere Freunde nach Punta Arenas weiterführt.
Das Paine-Massiv mit seinen imposanten cuernos und torres liegt ca. 150 km nördlich von Puerto Natales.

Buchtipps:
- Stefan Zweig, "Magellan, der Mann und seine Tat", Fischer Taschenbuch Verlag, 5356. ISBN 3-596-25356-X
Der historische Roman gibt die Entdeckung der Magellanstrasse und die erste Weltumsegelung spannend und eindrucksvoll wieder.

- Coloane Francisco: " Kap Hoorn", "Feuerland", "Der letzte Schiffsjunge der Baquedano", alle im Unionsverlag. Ergreifende Geschichten eines Kenners und hervorragenden chilenischen Erzählers.


Puerto Natales, 25. Februar 2003

Heidi Brenner

 

 

 
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