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Abschied von der Zivilisation
Am Montagabend, dem 27. Januar, einen Tag vor dem Auslaufen
in die einsamen chilenischen Kanäle, türmen
sich Gemüse und Früchte im Salon: 20 kg Kartoffeln,
12 kg Zwiebeln, 3 kg Knoblauch, 8 kg Rüebli, 6
grosse Kohlköpfe, ein riesiger Kürbis, Peperonis
und Auberginen, Tomaten und Gurken, 1 kg frische Pfefferschoten
(eine Unmenge! Einen grossen Teil dörre ich unterwegs
über unserem Refleksofen), 12 kg Aepfel, eine Harasse
Orangen, Grapefruits, blaue Pflaumen, Bananen und vieles
mehr. Wo staue ich all das, damit es nicht verdirbt?
Etwas besorgt beginne ich zu sortieren und jede einzelne
Frucht, Tomate, Aubergine usw. auf Druckstellen hin
zu untersuchen. Um halb neun lasse ich alles liegen
und wir gehen zum letzten Mal ins Zentrum von Ushuaia,
um mit Bernt und Kristin von der deutschen Yacht "AURYN"
herrliches Lammfleisch zu essen. Sie bleiben noch einige
Tage im AFASYN-Club, hat doch ihre rote junge Kätzin
RIO - sie ist als junges Busi in Rio de Janeiro zugelaufen
- eben erst vier junge Kätzchen geboren, von denen
ich hoffentlich ein rotes in Puerto Montt an Bord von
CASIMU nehmen kann. Am Morgen vor unserer Abfahrt herrscht
noch ein riesiges Durcheinander im Salon. Noch müssen
die Frischwaren gestaut werden. In der hinteren Backbord-Kabine,
die wir sowieso vorwiegend als Stauraum brauchen, gibt's
neben den 8 Panettoni (Hans mag die so), vielen Güezipäckli,
Nüssen, Mandeln und ein paar Kilo Trockenfrüchten
noch Platz für einen Teil des Gemüses und
der Früchte. Die Aepfel werden sorgfältig
in den grossen Katzenkorb verpackt (den ich immer noch
mitführe und vorläufig als Proviantkiste umfunktioniert
habe). Noch einmal eile ich ins Zentrum, um mit meiner
Mutter zu telefonieren, die letzten mails zu lesen,
frisches Brot und feinen Apfelstrudel zu kaufen und
dann um halb zwei auf dem Schiff zu sein. Hans hat ebenfalls
noch ein ziemliches Gehetze. Den ganzen Morgen vergeht
mit der Bearbeitung meines Berichtes: er fügt die
Fotos ein, ermöglicht das PdF (das anfangs nicht
funktionieren will) und und bringt das Ganze aufs Internet.
Wieso der Zeitdruck? Wir haben noch einen chilenischen
"profesor" als Passagier nach Puerto Williams.
Da es zwischen Ushuaia und Puerto Williams keine organisierte
Schiffsverbindung gibt, kommen öfters Touristen
bei den wenigen Yachten vorbei, um sich nach einer Mitfahrgelegenheit
zu erkundigen. Mit unserem Passagier Marcelo haben wir
auf halb zwei Uhr abgemacht. Uf, gerade schaffe ich
es, pünktlich zu sein! Der Angestellte der Prefectura
kommt aufs Schiff und erledigt Pass-, Zoll- und Schiffsformalitäten
in wenigen Minuten. Und jetzt geht's los. Ein weiteres
Mal die 30 Meilen nach Puerto Williams bei wenig Wind,
in angenehmer und interessanter Begleitung, bei Apfelstrudel
und Kaffee, ein echtes Touristenfährtchen. Abends
gibt's ein kleines Fest im Aufenthaltsraum des MICALVI-Clubs
in Puerto Williams. Die Charterjacht SANTA MARIA ist
mit deutschen Seglern von ihrem Törn um Cap Hoorn
zurück, das sie und ihr chilenischer Skipper bei
9 Beaufort gerundet haben. Und nun gibt's natürlich
zu feiern und sogar Diplome werden ausgehändigt.
Da war's bei uns schon viel unscheinbarer: ohne Diplom,
dafür aber auch ohne einheimischen Skipper. Eine
neuseeländische Jacht mit Alpinisten ist eben aus
der Antarktis zurück, wo sie mehrtägige Berg-
und Gletschertouren machten. So trifft man sich eben
im einzigen süd-chilenischen "Hafen"
Puerto Williams. Am nächsten Tag erhalten wir von
der Armada de Chile das "Zarpe" (Navigationserlaubnis
und -beschränkung) bis nach Valdivia. Bei Prachtswetter
und klarer Bergsicht laufen wir im Beaglekanal gegen
Westen aus, um schon nach 30 Meilen gegen Abend zwischen
Inselchen und Untiefen zum Armada-Stützpunkt "Puerto
Navarino" einzulaufen. Um unser Tau an der riesigen
Tonne festmachen zu können, muss Hans auf die Tonne
springen. Zum Glück bläst ein konstanter Westwind,
so dass die Gefahr des Anschlagens oder Verwickelns
an der Metall-Tonne kaum besteht. Ein Abendspaziergang
über Hügel und Moor, führt uns auch bei
riesigen Biberdämmen vorbei. Die kleinen Nager
fällen ganze Wälder, um ihre kunstvollen Dämme
zu errichten. Die Gegend sieht aus, als hätte ein
Riese in Wut den Wald zerstört. Ueberall nur noch
kleine Baumstamm-Stummel - allerdings gekonnt durchgenagt!
Der letzte Schwatz mit den Armada-Leuten. Ab morgen
wird's endgültig einsam. Schon um 6, im fahlen
Dämmerlicht und bei nur 10°C brechen wir auf.
Die Weiterfahrt im Beagle-Kanal wird von vielen kleinen
und grösseren grünen Inseln und den mächtigen
Felsbergen links und rechts gerahmt. Die unteren Teile
der Berge sind grün, zum Teil bewaldet, doch oben
ragen schwarzgraue Granitfelsen drohend zum Wolken behängten
Himmel. Böen pfeifen etwa die Felswände herunter
und es ist unmöglich die Segel richtig einzustellen:
ist es genug Segelfäche ohne Böen, ist es
sofort zu viel in den unregelmässigen aber häufigen
"rachas" und CASIMU legt sich stark auf die
Seite. Nun das freut die Gäste des Kreuzfahrtschiffes,
das uns nach ein paar Stunden Fahrt entgegenkommt. Als
sie an uns vorbeifahren, blitzen viele Kameras zu uns
herüber. Einen kurzen Augenblick beneide ich sie
um die Wärme und den Komfort auf ihrer riesigen
"Crèmeschnitte".
Im Fjord der Gletscher
Schon vor dem Mittag erreichen wir die Verzweigung des
Beagle-Kanals und segeln in den "Brazo noroeste"
(nordwestlichen Arm), wo wir bald in die romantische
kleine Bucht "Caleta Olla" einfahren. Hohe
Bäume gegen Westen begrenzen den feinen gelben
Sandstrand. Gegen Norden steigt eine hohe Granitwand
auf, gegen Süden rahmt eine niegdrige Halbinsel
die Bucht, während gegen Südosten sie sich
etwas öffnet, aber bald vom gegenüber liegenden
Sandstrand abgeschirmt wird. Wir lassen den Buganker
fallen und ziehen CASIMU dann mit zwei Heckleinen nahe
ans Ufer, so dass er im Windschutz der hohen Bäume
sicher vertäut liegt. Und die nächsten zwei
Tage erleben wir den viel gelobten Ankerplatz unter
Starkwind-Bedingungen als echt ideal: am Abend nimmt
der übliche Westwind zu und wird stark (bis etwa
40 Knoten). Es rauscht enorm in den Blätterkronen
und die Wipfel hinter uns beginnen sich zu biegen. Doch
ausser im oberen Teil des Mastes merken wir kaum etwas
vom Wind. Vom Strand aus ist die Wasserfläche etwa
30 bis 40 Meter weit hinaus ruhig und kräuselt
sich kaum - da ja im Windschatten der hohen Bäume
- während nur wenig weiter aussen bereits Schaumkronen
die Wellen zieren und Brecher gegen den Strand klatschen.
Trotz viel Wind können wir zwei Wanderungen zu
den Gletschern "Hollanda" und "Italia"
unternehmen. Ueber Moore und durch sumpfige Abhänge
klettern wir durchs Dickicht und versuchen möglichst
nicht allzu tief einzusinken. Wir queren Wildbäche
und suchen nach Aufstiegsmöglichkeiten ohne dauernd
Schluchten überwinden zu müssen. Wir freuen
uns über die herrliche Weitsicht und Blick auf
die beiden Gletscher.
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Ventisquero Hollanda |
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Caleta Olla |
CASIMU ist tief unten nur noch als kleiner Punkt sichtbar.
Am zweiten Tag läuft der hölzerne, dschunken-getakelte
Katamaran "China Moon" von Pete Hill, GB, von
Punta Arenas kommend in die Bucht ein - die einzige Jacht,
die wir in den drei Wochen bis Puerto Natales begegnen!
Dieser komfortable Katamaran ist das dritte Schiff, das
Pete in dreijähriger Arbeit aus Sperrholz gebaut
hat. (Er und Annie sind die Verfasser der Segelführer
über die brasilianische Küste und die Falklandinseln).
Wir sitzen zusammen und machen es uns an den kühlen
und regnerischen Abenden gemütlich: Pete, seine südafrikanische
Begleiterin Sherley und der wunderschöne und interessante
Kater Sindbad, der sich auch auf unserem Schiff sofort
wohl fühlt. Am nächsten Abend kocht der gemütvolle
Pete uns ein feines "chili sin carne", während
wir Frauen bequem in den Polstern des Katamarans sitzen
und beim Aperitiv mit Popcorn plaudern. Die sicher fast
sechzigjährige Sherley ist mit ihrer 50jährigen
Holzyacht einhand - nur in Begleitung ihres Katers Sindbad
- von Cape Town nach Brasilien gesegelt. Nach dem sympathischen
Treffen fahren wir weiter nach Norden, "China Moon"
Richtung Süden. Der "Brazo Noroeste" mit
der Gletscherroute "avenue des glaciers" ist
bei schönem Wetter einmalig.
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Moränen lassen nur eine schmale
Einfahrt in den Seno Pia frei. |
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Ventisquero Italia |
Mit der Segeljacht können wir tief in die Fjorde
oder "senos" hineinfahren, sofern es die vorgelagerten
Moränen erlauben. Sie versperren meist wie Riffe
den Eingang, als wollten sie allen den Zugang zum inneren
Schatz verwehren. So erkunden wir bei strahlendem Licht
und Sonnenschein den "Seno Pia" mit seinem gletscher-milchigen
Wasser. Bald wird die Weiterfahrt um bläulich-weisse
Eisbrocken herum zur Zick-zack-Fahrt und irgendwann sind
die Eisberge grösser, mächtiger und in der Ueberzahl,
so dass wir kleinlaut aufgeben und umdrehen.
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In sicherem Abstand zu den harten, weissen Ungetümen
stellen wir den Motor ab und lassen uns das Mittagessen
vor dem schönsten Gletscherpanorama im wärmenden
Sonnenschein und in unendlicher Stille schmecken. Schon
am Nachmittag ist der Himmel wieder von schweren, dunklen
Wolken behangen und gegen Abend beginnt es zu regnen.
In diesen chilenischen Breiten regnet es sehr viel, als
wollte der Westwind vom Pazifik all seine mitgeführten
Riesenwolken aufs Mal entleeren. Unzählige Wasserfälle
stürzen über die Felswände hinunter, die
steilen und mit Moosen und anderen Pflänzchen dicht
bewachsenen Ufer tropfen ununterbrochen und überall
gibt es Bächlein. Die Inseln sind meist von dichtem,
kaltem Regenwald bewachsen, fast undurchdringlich aber
mit reicher Flora - natürlich ganz anderer als im
brasilianischen tropischen Regenwald. Aber auch hier in
dem kurzen und kühlen Sommer gibt es farbige Blüten.
Das Versteckspiel mit dem Wind
Hier in den südlichen Breiten, nahe am Pazifik,
müssen wir immer auf sehr schnelle Wetterwechsel
gefasst sein. Aus einer morgendlichen Flaute kann schnell
Starkwind werden. Fast immer weht der Wind aus West
oder Nordwest bis Norden. Das heisst für CASIMU,
dass er den Wind meist von vorne hat und somit meist
unter Motor läuft. Nur, bei viel Wind - das heisst
20 und mehr Knoten - halten wir uns in einer winzigen
"caleta" oder "notch", zu deutsch
"Schlupfloch" still. Es gibt viele solche
Schlupflöcher, die auch etwa von den Fischern von
Punta Arenas mit ihren kleinen Booten benutzt werden.
Die Wassertiefen sind meist bis an die felsigen Wände
genügend für eine Jacht mit 2m Tiefgang. Untiefen
in den Einfahrten sind eigentlich immer mit Kelp (einer
grossen Algenart) bewachsen, so dass man sie bemerkt
und umschiffen kann. Zuerst lassen wir den Bug- oder
oft den Heckanker fallen, motoren dann in die enge,
geschützte Boxe hinein und binden CASIMU mit 2
bis 5 Leinen dicht unter die Bäume fest.
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Die zwei an der Heckreling befestigten Taurollen -
Hans hat sie in Buenos Aires entworfen und auch gefertigt
- mit je etwa 120m schwimmenden 20mm-Polypropylen-Leinen
sind enorm praktisch, wenn es schnell gehen soll. (Die
Schwimmleinen sind leicht zum Ausbringen mit dem Beiboot
und es besteht kaum Gefahr, dass es ein "Gnusch"
gibt oder eine in die Motorschraube gerät.) Kaum
ist der Anker geworfen, steigt (meist) Hans ins Beiboot
und rudert mit der sich selbst abrollenden Leine ans
Land, während ich bemüht bin, das Schiff dicht
am Ufer in richtiger Position zu halten. Recht schwierig
ist es oft, einen geeigneten Baum oder Felsen zum festbinden
zu finden. Damit die Leinen nicht durchscheuern, legt
Hans einen Kettenvorlauf um Baumstamm oder Felsblock,
an den dann die Leine festgeknüpft wird. Das ganze
Procedere dauert natürlich jeweils zwischen 1 bis
3 Stunden! Wenn der Wind dann mit Sturmstärke pfeift,
hören wir ihn zwar manchmal oben am Rigg rütteln,
doch der Rumpf des Schiffes liegt ruhig und geschützt.
Wenn es am folgenden Tag sehr windig ist oder wie aus
Kübeln über Stunden schüttet, halten
wir uns in unserem Schlupflöchlein in der warmen
und trockenen Stube still. Erst wenn das Wetter sich
beruhigt hat, der Wetterfax kein ankommendes Tief anzeigt
und der Baro einigermassen konstant ist, laufen wir
wieder aus, frühmorgens oft bei wenig Wind, um
am Nachmittag oder abends wieder eine "Schlafbox"
zu finden.- Uebrigens hat Hans in Ushuaia die Aries-Windsteuerung
bis auf die Alu-Halterung abgebaut, da wir sie ja vorläufig
hier in den Kanälen nicht gebrauchen. Auf das Alu-Gestell
hat er aus Abfallmaterial eine zurecht gezimmerte Heckanker-Plattform
montiert, auf die er zudem bequem und sicher stehen
kann, um den Anker fallen zu lassen oder wieder zu bergen.
Die Ankerkette hat darunter, auf der Badeleiter-Plattform
in einem Inox-Gefäss ihren Platz erhalten. Das
hat sich bereits einige Male bewährt. Es geht doch
nichts über erfinderische und praktisch veranlagte
Skipper!
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Ruppiger Canal Cockburn und unheimliche Magellanstrasse
Eines Tages müssen wir bei bedrohlichen tiefen
und dunklen Wolken hinaus aus dem engen "Canal
Ocasion" in den zum Pazifik hin offenen und manchmal
wilden und stürmischen "Canal Cockburn".
Schon bevor wir die schützende Felszunge hinter
uns lassen, erreicht uns die pazifische Dünung.
Grosse, langgezogene Wellen bei wenig Wind. Das sind
wir nicht mehr gewohnt! CASIMU schwankt hin und her,
während die Dünung extremer wird und uns schüttelt.
Die Wellen laufen auf die inneren Felsinseln zu, werden
zurück gespült und erreichen uns in konfusem
Auf und Ab nochmals. Wie wird das erst sein, wenn da
der Westwind mit Sturmstärke braust? Ich erinnere
mich an eine schauerliche Geschichte von Francisco Coloane,
in der er einen stürmischen und gefährlichen
Canal Cockburn beschreibt. - Wo stecken wohl die drei
neuseeländischen Kanuten, die wir vor ein paar
Tagen bei Starkwind gegen Wellen und heftige Regenschauer
kurz vor dem Eingang in den gefürchteten Canal
Cockburn zufällig voraus sahen? Sie deuteten uns,
dass sie wohlauf seien, als wir in ihre Nähe fuhren
und paddelten kräftig weiter. Hätten sie in
unserer Nähe übernachtet, wären sie bei
uns zum Nachtessen eingeladen worden. Doch Segeljachten
und Kanuten suchen hier nicht die gleichen Plätze
auf, und so verloren wir sie aus den Augen. Ueber Navtex
haben wir gelesen, dass sie von der chilenischen Armada
gesucht werden. Später hören wir auch über
Funk, dass das Armadaschiff sie sucht. Sie wollen die
ganze südliche Passage mit den Kanus - ohne Begleitschiff
- zurücklegen. Wenn ich am Abend am wärmenden
Ofen das Nachtessen geniesse und am Trockenen sitze,
muss ich oft an die armen Kanuten denken. Wo übernachten
die in dieser Kälte und Nässe? Können
sie wohl auch etwas Warmes kochen? -
Eigentlich dürften wir den "Canal Acwalison",
der eine Abkürzung gegenüber dem vorgeschriebenen
"Canal Magdalena" ist, offiziell nicht befahren,
um in die westliche Magellanstrasse zu gelangen. Auf
den chilenischen Karten sind alle Tiefenangaben für
den nicht genehmigten Canal entfernt worden. Doch wir
besitzen neben den chilenischen Seekarten auch noch
englische und dort finden wir sehr wohl Wassertiefen.
So beschliessen wir, den spektakulären gebirgigen
"Canal Acwalison" zu befahren. Mental bereiten
wir uns vor, was für eine Begründung wir angeben
werden, falls uns in dieser Einsamkeit zufällig
ein Armadaboot ausmachen und zur Rede stellen sollte.
Das werden wir schon irgendwie hinkriegen, denke ich.
Mehr beunruhigt mich der "Paso O Rian", ein
enger und untiefer Durchgang in dem Canal, der enorm
viel Strömung (bis 8 Knoten) und Wirbel haben soll
und also nur bei "Slackwater" ( Stillwasser
zwischen Ebbe und Flut) passiert werden soll. Ob die
Tiden-Angaben und unsere Umrechnungen für die Enge
stimmen? Wir nähern uns dem Paso etwas zu früh
und fahren wirklich fast bei Stillwasser - nur noch
2 Knoten mitgehendem Strom- problemlos durch die engen
Untiefen. Alle Sorgen zum Voraus waren überflüssig!
Und was sehen wir in dem sich weitenden Fjord? Zwei
Luftsäulen von Walen, eine höhere und breitere
und daneben eine niedrigere und schmälere. Sicher
ein Muttertier mit ihrem Jungen. Hurra, sie schwimmen
in unserer Richtung! Doch plötzlich sehen wir die
Fluken, eine grosse und gleich danach die kleinere abtauchen.
Mit dem Motor im Leerlauf warten wir. Erst später,
als wir wieder weiterfahren, entdecken wir die beiden
Luftsäulen hinter uns. Die Wale haben uns passiert,
aber leider unter Wasser. In der breiten Magellanstrasse
bläst uns ein starker Wind entgegen und wir verkriechen
uns in einen sicheren, tiefen Fjord. Doch diesmal will
der Anker einfach nicht fassen, und wir sind fast zwei
Stunden damit beschäftigt, einen geeigneten Platz
zu finden und Ankermanöver zu fahren, was mich
an diesem Abend hässig und ungeduldig macht. Am
nächsten Tag, dem 7. Februar steht folgendes im
Logbuch: "Regen, Regen. Frühzeitig brechen
wir auf, damit wir beim morgendlichen Schwachwind in
der Magellanstrasse vorwärtskommen. Breit ist sie,
grau - verhangen. Das schwarze Cap von Bahia Wood grüsst
drohend hinüber. Locker kommen wir unter Motor
voran. Doch leider ist mit Segeln wieder nichts. Der
Wind reicht gerade, dass das Grosssegel unter Motor
steht und vielleicht noch etwas "zieht". War
das wohl eine Qual für die Schiffe von Magellan
(und die späteren Segler) hier gegen Wind und Strom
voranzukommen. Im Niemandsland, wo sie nicht wussten,
wohin und ob überhaupt ein "paso" sie
ins "Mar del Sur" führen wird.... Nein,
ich kann es mir nicht vorstellen. Und der "Paso
tortuoso" liegt erst noch vor uns! - Da auch für
uns die Gegenströmung ungünstiger wird, fahren
wir in die historische "Bahia Fortescue" (sie
ist schon auf Seekarten vom Jahr 1700 als Ankerplatz
angegeben und auch Joshua Slocum hat vor mehr als 100
Jahren auf seiner Einhand-Weltumsegelung hier geankert).
Da die innere "Caleta Gallant" so gerühmt
wird, ankern wir dort. Doch wir werden von heftigem
Wind und Williwaws, die auch Wellen aufwerfen am Anker
geschüttelt und ausgepfiffen. Der Ankergrund ist
zwar gut, doch nach zwei Tagen haben wir genug und verholen
für die letzte Nacht in die äussere "Bahia
Fortescue", wo wohl auch die früheren Segler
ohne Motor gelegen haben. Angenehm ruhig, etwas Schwell."
- Am nächsten Morgen, noch in der Dunkelheit, löst
Hans die Landleinen und mit dem Strom durchqueren wir
zuerst den "Paso Ingles" und dann den gefürchteten
"Paso tortuoso", wo Atlantik- und Pazifikströmung
zusammenlaufen. Doch mit wenig Wind und mit dem Strom
können wir die dunklen Felsen und Berge in Ruhe
betrachten: wie lederne und faltige Haut von Ur-Elefanten
säumen die kahlen oberen Felsen die Magellanstrasse
... und schon sind wir im langen "Paso largo".
Immer wieder sind Seehunde um uns und springen oft fast
wie Delfine. Wenn sie ihre runden Köpfe neugierig
aus dem Wasser strecken, sind sie einfach allerliebst.
Bevor wir in die sichere "Caleta Notch" einfahren,
kommen uns zwei kleine Fischerboote entgegen. Sie wollen
nach Punta Arenas zurück, tauschen aber gerne zwei
grosse Merluzas gegen zwei Tetrapack Rotwein. Bald darauf
sehen wir inmitten der Seehunde einen Wal blasen. Wir
warten und beobachten. Plötzlich öffnet sich
gleich neben CASIMU ein riesengrosser, offener Rachen...
Wir erschrecken, doch der Wal filtert einfach das Wasser.
Ob er uns gar nicht beachtet hat? Doch so wohl scheint
es ihm doch auch nicht zu sein. Er taucht ab. Nach zwei
ruhig vertäuten Sturmtagen in der "Caleta
Notch" - der Hafen von Punta Arenas wurde während
des Sturms geschlossen und verschiedene Seezeichen in
der Magellanstrasse ausgerissen - wagen wir uns am dritten
Tag wieder hinaus und durchfahren den westlichsten Teil
der Magellanstrasse und den "Paso del Mar",
der offen zum Pazifik hin ist und sehr stürmisch
sein kann, bei Flaute und kaum Dünung! Warm ist
es und bequem! Wir legen eine grössere Strecke
als geplant zurück, besuchen aber noch das einsame
Armada-Ehepaar auf der Leuchtturm-Insel "Fairway",
um dann abends in einem eng geschlängelten aber
sehr sicheren Fjord, der "Caleta Teokita"
zu übernachten.
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Eng ist die Ausfahrt aus der Caleta
Teokita. Dank leichtem achterlichem Wind geht es
sogar unter Segel! |
Ideale Segelbedingungen und "delfinos oscuros"
Der nächste Morgen empfängt uns mit Sonnenschein
und Südwind. Nach dem Fototermin von CASIMU segeln
wir durch den "Canal Smyth" und seine liebliche
grüne Inselwelt. Beim "Paso shoal" erinnert
uns das Wrack der "San Leonor", dass dieses
Revier nicht ganz ohne Tücken ist, vorallem natürlich
bei Sturm. Doch wir geniessen es, wieder mal segeln
zu können und die Bergwelt und verschneiten Gipfel
im allerdings kalten Sonnenschein geniessen zu können.
Bei der "Isla Cutler" weitet sich der Canal
zu einer grossen Bucht. Kurz vorher sind wir plötzlich
von unzähligen dunklen Delfinen umgeben, den südlichen
akrobatischen Meistern. Links und rechts, vorne und
hinten, springen sie aus dem Wasser. Einige vollbringen
hohe Luftsprünge, um sich dann seitlich ins Wasser
fallen zu lassen und grosse Fontänen aufspritzen
zu lassen. Es kommen immer mehr Delfine nach. Ist das
eine Völkerwanderung? Hunderte und aber hunderte
von schwarzen Delfinen - das ist doch ungewöhnlich.
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Die Abkürzung war offensichtlich
untief! |
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Das rasch wechselnde Wetter erzeugt
immer wieder prächtige Regenbogen. |
Treffen der Freundin in Puerto Natales
Eigentlich liegt Puerto Natales nicht an unserem Weg.
Doch meine Freundin Christiane Michaelis fliegt mit
ihrem Mann Werner nach Argentinien und Chile, um uns
zu besuchen. Die einzige Möglichkeit sie in diesen
einsamen Kanälen und menschenleeren Gegenden zu
treffen, ist für uns "Puerto Natales",
ein aufblühender kleiner Touristenort - der Nationalpark
"Torre del Paine" ist mit seinen immensen
Gletschern und berühmten Kletterhörnern von
P.N. aus erreichbar. Doch nun haben wir einen Termin:
sie sind nur vom 22. bis 24. Februar in Puerto Natales.
Da wir anfangs keine Ahnung hatten, wie wir in den windreichen
Breitengraden hier "gegenan" vorwärtskommen,
wussten wir auch nicht, ob wir in gut drei Wochen die
Strecke Puerto Williams - Puerto Natales (etwas mehr
als 500sm) schaffen würden. Doch nun wissen wir
es: wir sind zeitlich gut drin. Die nächsten Kanäle
und Senos, die uns um "viele Ecken" Richtung
P.N. führen, werden wir auch noch packen. Einer
der letzten ist der "Canal Kirke" mit der
"Angostura Kirke", wo der Strom zwischen den
kleinen Inselchen in der Enge zwischen 8 bis 14 Knoten
(15 bis 26 km/h) erreicht, und Schiffe nur bei Stillwasser
passieren können. Am Vorabend ankern wir im Vorbecken,
einer kleinen seenartigen, runden Oeffnung mit Robbeninseln
und vielen Wasservögeln. Ich rudere gegen Abend
zu den Robben hinüber, allerdings mit ziemlich
Respekt vor der Strömung und den Robben-Machos.
Viele der herzigen Robben umschwimmen mein Schlauchboot
neugierig aber unaufdringlich. - Die Ruhe an diesen
Ankerplätzen wird höchstens durch das Rufen
der Vögel oder das Grunzen der Robben durchbrochen.
Doch oft ist es mäuschenstill, sofern der Wind
nicht durch das Rigg pfeift. Das ist unwahrscheinlich
wohltuend, diese unberührte Natur: tage- und wochenlang
keine Häuser, keine Strasse, klares Wasser, nirgends
eine Spur von menschlicher Gegenwart oder Aktivität.
Selten mal ein Fischerboot, doch das hinterlässt
nur für wenige Minuten eine vergängliche Spur
auf der Wasseroberfläche, wie wir mit CASIMU. -
Als wir am nächsten Mittag etwas vor dem unzuverlässig
voraussagbaren Stillwasser die "Angostura Kirke"
ansteuern, sehen wir Wirbel. Der Strom gegen uns nimmt
zu. Das Inselchen auf der Backbordseite scheint immer
an der gleichen Stelle querab zu liegen, obschon wir
mit 7,2kn Geschwindigkeit fahren. Ueber Grund legen
wir nur 2,7kn zurück. Also haben wir kurz vor Stillwasser
noch 4,5kn Strom gegen uns und die Wirbel werfen CASIMUs
Bug gegen rechts und links, ungewohnt aber ungefährlich.
Da die Enge nur etwa 300m lang ist, passieren wir sie
trotz des Gegenstromes. Unter Segel überqueren
wir am 17. Februar den "Golfo Almirante Montt",
der Puerto Natales vorgelagert ist. Wir entdecken nach
drei Wochen wieder ein paar Häuser, mehrere Fischerboote
und das farbige Oertchen Puerto Natales, das den vorherrschenden
West- und Nordwinden komplett ausgesetzt ist. In unserem
Segelführer steht : "P.N. is in fact a very
poor place to visit in a yacht, as the anchorage in
front of the town is totally exposed to the strong northwest
and west winds, that seem to blow continuously. Winds
can change from calm to gale force with no warning.."
Und das ist wirklich so: Keine Mole ist gegen die häufig
stürmischen Winde geschützt und die "Capitania
del Puerto" von der Armada weiss auch nicht, wo
eine Jacht sicher liegen kann. Vorerst machen wir vor
dem Zentrum an einer Boie eines einheimischen Privatmannes
fest, da der Wind nicht allzu stark weht. Doch nach
zwei Nächten verholen wir CASIMU in den engen,
nördlich des Ortes gelegenen "Seno Eberhard",
der vor über hundert Jahren von einem deutschen
Pionier entdeckt und in Besitz genommen wurde. In einer
nahen Höhle fand er Ueberreste eines Urtiers und
löste mit seinem Fund eine Invasion von Paläontologen
aus. Das Tier wurde später klar als urzeitliches
"Mylodon" oder "Riesenstinktier"
identifiziert. Heute ist die riesenhafte "Cueva
del Milodon" mit einer Nachbildung des Urtiers
eine Touristenattraktion. Die beiden Urgrosssöhne
von Herman Eberhard bewirtschaften die Estanzia am Meerarm
mit 500 Kühen. Beide sprechen sie perfekt deutsch.
Hier durften wir an den grossen Tonnen zu Land und zu
Wasser unseren CASIMU festmachen. Doch auch hier bläst
der Wind oft und lang mit Sturmstärke und CASIMU
wird geschüttelt und die beiden Insassen, die eigentlich
nachts gerne schlafen würden, damit. Hans hat alle
drei Anker ausgebracht: zwei achterlich-seitlich in
den Seno hinaus, gegen Westen. Einen vorne am Ufer in
den Sand. Ferner halten einige Leinen CASIMU an den
Tonnen und an Pfählen fest. CASIMULI, der im Windschatten
des grossen Bruders liegt, fliegt ab und zu durch die
Luft und liegt dann auf dem Bauch! In dieser Gegend
scheint es einfach keinen einzig wirklich geschützten
Winkel zu geben. - Ich bin schon aufgeregt, denn bald
soll meine Freundin Christiane und ihr Mann Werner ankommen.
Am 22. Februar sind sie da. Wir haben grosse Freude
uns hier zu treffen, da es ja nicht so ganz sicher war,
ob wir es schaffen würden, rechtzeitig dazusein.
Sie haben mir viele nützliche und leckere Dinge
mitgebracht und im schönen Hotel "Costaustralis"
gibt es einen grossen Geburtstagsgabentisch für
mich. Herzlichen Dank Christiane und Werner! Wir verbringen
gemeinsam gemütliche zwei Abende - sogar mit Jassen.
Leider geht die Zeit sehr schnell vorbei. Wir bleiben
zurück, um im Nationalpark Torres del Paine noch
ein paar Tage zu wandern, während die Rundreise
unsere Freunde nach Punta Arenas weiterführt.
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Das Paine-Massiv mit seinen imposanten
cuernos und torres liegt ca. 150 km nördlich
von Puerto Natales. |
Buchtipps:
- Stefan Zweig, "Magellan, der Mann und seine Tat",
Fischer Taschenbuch Verlag, 5356. ISBN 3-596-25356-X
Der historische Roman gibt die Entdeckung der Magellanstrasse
und die erste Weltumsegelung spannend und eindrucksvoll
wieder.
- Coloane Francisco: " Kap Hoorn", "Feuerland",
"Der letzte Schiffsjunge der Baquedano", alle
im Unionsverlag. Ergreifende Geschichten eines Kenners
und hervorragenden chilenischen Erzählers.
Puerto Natales, 25. Februar 2003
Heidi Brenner
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